Der Gotthard ist mehr als ein Passübergang. Verschiedene Zeitepochen haben ihre je eigenen Geschichten in seinen Fels eingeschrieben, bis aus dem zentral gelegenen Gebirgsmassiv ein eigentlicher Mythos geworden ist. Bis heute funktioniert das Reden über den Gotthard in der ganzen Schweiz als Kulturtechnik, die der gesellschaftlichen Verständigung über gemeinsame Werte dient. Die Anfänge der Mythenbildung lassen sich relativ genau fassen und datieren: Sie gehen auf einen akademischen Historikerdiskurs zurück, der in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stattfand und folglich in den verschiedensten Formen popularisiert wurde. Das Gotthardmassiv avancierte in Verbindung mit seiner militärischen Verteidigungsfunktion im Ersten und dann vor allem im Zweiten Weltkrieg, als die Schweizer Armeeführung zahlreiche Festungsanlagen in den Fels sprengen liess, zum Sinnbild für nationale Souveränität und technisches Leistungsvermögen. Im politischen Diskurs der «Geistigen Landesverteidigung» stieg es gar zu einem eigentlichen Kristallisationspunkt der schweizerischen Staatsidee auf. Diese säkulare Weihung des Gotthards ist in ihren Grundzügen bis heute wirksam geblieben, mit besonderen Ausprägungen in Uri, wo die nationalen Mythologeme mit Elementen der lokalen Erzähltradition – allen voran mit der bekannten Sage über den Bau der Teufelsbrücke – angereichert sind, und im Tessin, wo ein starker Akzent auf der Entstehungsgeschichte des 1882 eröffneten Eisenbahntunnels liegt. Die Bezüge zur Verkehrsgeschichte standen in den letzten drei Jahrzehnten auch landesweit wieder im Vordergrund. Der Bau des Gotthard-Basistunnels verlieh dem in die Jahre gekommenen Mythos neuen Schub.
Detailbeschreibung
Gotthard-Geschichten (PDF, 518 kB, 25.06.2024)Ausführliche Beschreibung
Kategorie
Mündliche Ausdrucksweisen
Darstellende Künste
Kanton