Der Kanton Bern liegt mitten im Herzen der Schweiz - am Schnittpunkt zweier Kulturen. Damit nimmt er eine wichtige Brückenfunktion zwischen den deutsch- und den französischsprachigen Landesteilen wahr: einer der Gründe, wieso die Stadt Bern als Bundeshauptstadt der Schweiz auch das politische Zentrum des Landes ist. Jede siebte Schweizerin und jeder siebte Schweizer lebt im Kanton Bern: Mit 12.2 Prozent der schweizerischen Bevölkerung ist Bern damit der zweitgrösste Kanton nach Zürich. Auch flächenmässig liegt er - nach dem Kanton Graubünden - an zweiter Stelle. Auf fast 6'000 km2 breiten sich die sanft bewaldeten Hügel des Berner Juras, das offene Mittelland mit seinen prächtigen Seen und die majestätische Bergwelt des Berner Oberlands aus. Das Miteinander von Stadt und Land, von Kultur- und Naturlandschaft, von Tradition und Moderne, von Wohnen und Arbeiten garantiert eine hohe Lebensqualität im Kanton Bern. Die landschaftliche Vielfalt spiegelt sich auch in der kulturellen Vielfalt des Kantons wieder. Die lebendigen Traditionen tragen ihren wichtigen Teil dazu bei.
Kontinuität und Wandel
Zahlreiche lebendige Traditionen sind im Kanton Bern lokal konstant geblieben, viele haben sich durch Zuwanderung und Binnenmigration in andere Regionen verbreitet oder haben sich mit der Zeit gewandelt. Die gesellschaftliche Entwicklung mit zunehmender Mobilität, veränderten Kommunikationsverhalten und Vergemeinschaftsformen bedeutet für zahlreiche Trägervereine von lebendigen Traditionen eine Herausforderung und zeigt sich etwa in Nachwuchsproblemen. Allerdings haben sich, ausgelöst durch soziokulturelle Veränderungen, in den letzten Jahrzehnten auch zahlreiche neue Traditionen entwickelt - in der Stadt und auf dem Land.
Das traditionelle Handwerk ist für den Kanton Bern genauso bedeutsam wie das klassische Brauchtum (z.B. Trachten, Jodeln, Volksmusik, Alphornblasen, Laientheater, Volkstänze) und die traditionellen Sportarten Schwingen, Hornussen oder Steinstossen. Wichtig sind aber ebenso die kleinen Feste und Bräuche, die zum Zusammenhalt in den lokalen Gemeinschaften beitragen. Neben den ländlich geprägten Traditionen gibt es auch viele städtische, so beispielsweise das Seifenkistenrennen, das YB-Lied an den Fussballmatches, das Wellenbrettfahren und das Aarebaden.
Der Kanton Bern führt eine kantonale Liste der lebendigen Traditionen, die alle paar Jahre aktualisiert und erweitert wird. Diese ist nicht selektiv, sondern enthält möglichst viele bernischen Traditionen - ältere und jüngere, städtische wie ländliche. Alle Gruppen, Vereine oder Verbände, die im Kanton Bern immaterielles Kulturerbe pflegen, sind aufgerufen, ihren Antrag um Aufnahme in die kantonale Liste der lebendigen Traditionen zu stellen.
Regionale Vielfalt
Im Landwirtschaftskanton Bern ist eine Mehrzahl der Traditionen geprägt durch das bäuerliche Leben und das für die Landwirtschaft wichtige lokale Handwerk. Charakteristisch etwa ist die Stöcklikultur des Emmentals oder der im Kanton Bern bedeutsame Privatwald - der den Bauersleuten nicht nur Brennholz, sondern auch den Rohstoff für Hausbau und Möbel, aber auch für den Musikinstrumentenbau (Alphorn und Saiteninstrumente) und für Schnitzlerarbeiten liefert(e). Das Emmental ist bekannt für das Langnauer Örgeli, die Zäziwiler Brächete oder die Langnauer Keramik, ebenfalls stammt von da die Berner Züpfe und die Berner Rösti - um nur zwei Beispiele des kulinarischen Erbes zu nennen.
Für das Berner Oberland war die Alpwirtschaft mit der Viehhaltung, der Transhumanz und der Käseherstellung prägend - mit Alpaufzügen, Chästeilete, Bärgrächnig oder Älplerchilbine -, zudem war der alpine Tourismus ein Motor wirtschaftlicher Entwicklung, sowohl im Gastgewerbe, in der Festkultur (Tellspiele, Unspunnenfeste) wie in dem vom lokalen Handwerk entdeckten Souvenirmarkt (Holzschnitzeren, Spitzenklöppeln). Traditionelle Feste sind etwa Trychle und Ubersitz im Haslital oder mit der Harderpotschete in Interlaken, dem Zweitjänner in Sigriswil, das Berchtoldsingen mit der Pööglete in Wimmis weitere Jahresendfeiern.
Für die Region Thuner- und Bielersee bedeutsam ist die Winzerkultur. Für den Berner Jura ist die Pferdehaltung sehr wichtig und die Zucht der Freibergerpferde, die an der Foire de Chaindon in Reconvilier, einst grösster Bauernmarkt Europas, gehandelt werden. Zudem brachten die aus dem Emmental und dem Oberaargau geflüchteten Täufer Neuerungen: Sie bauten die ersten Skis, sie züchteten Freiberger-Pferde, lebten die Zweisprachigkeit und gründeten eigene zweisprachige Schulen. Die Region Schwarzenburg ist geprägt durch die Nähe zum Freiburgischen, bekannt ist hier neben dem Schafscheid Riffenmatt und dem Bauernpferderennen in Schwarzenburg besonders auch das Guggisbergerlied (Vreneli-Lied) oder der Altjahresel in Schwarzenburg. Auch das Saanenland teilt über die Sprachgrenze hinweg zahlreiche kulturelle Traditionen mit dem Pays-d'Enhaut im Waadtland: Der traditionelle Scherenschnitt ist in dieser Region verankert. Der Brauch des Maitannlistellens ist nicht nur im Bucheggberg bekannt, sondern auch im benachbarten Kanton Solothurn; die oberaargauischen Gemeinden teilen zahlreiche Traditionen, etwa die Wässermatten oder das Hornussen, mit den Nachbarsdörfern in den Kantonen Luzern und Aargau. Auch in den Städten haben sich bedeutsame Traditionen gehalten: die Ausschiesset und Fulehung in Thun, der Zibelemärit in Bern oder die Solätte als Jugendfest in Burgdorf, in jüngerer Zeit kommen auch die Fasnachten in Biel, Bern und Langenthal wieder hinzu.
Aktualisierung 2023
Mit der zweiten Aktualisierung der Liste der Lebendigen Traditionen von 2023 werden der Liste des Kantons Bern sieben neue Traditionen hinzugefügt:
- Giessen von Viehglocken aus Bronze
- Huttwiler Märkte
- «Métairies» im Berner Jura
- Nutzung erneuerbarer Energien im Kanton Bern
- Amateurtheater in der Westschweiz
- Velogemel
- Wybermahl in Hettiswil
Die vollständigen Einträge der neuen Traditionen sind ab Sommer 2024 online verfügbar.